Helau, Herr Präsident? 

Helau, Herr Präsident? Karl Schäfer ist „Chef“ von 110 linksrheinischen Karnevalsvereinen. Ein Gespräch über jecke Freude, närrischen Unfug und den Karneval in Zeiten neu entdeckter Digitalität

22.02.2021

Von Heike Waldor-Schäfer

Am Niederrhein. Was macht ein Karnevals-

Präsident ohne Karneval?

Und: Wie kommt der Karneval

durch die Zeit? Ein Gespräch mit

Karl Schäfer, Präsident des Karnevalsverbandes

Niederrhein, KLN.

Herr Schäfer, das ist sicher die seltsamste Session die Sie bislang erlebten?
In den jetzt zehn Jahren meiner Amtszeit ist das wirklich die mit Abstand
seltsamste Session, weil dieses Virus hilflos macht.
 

Nach Helau oder Alaaf ist Ihnen da eher nicht zumute?
In Anbetracht der Lage, dass viele Tote zu beklagen sind, viele Menschen auf den Intensivstationen behandelt werden müssen und das Leben in großen Teilen still steht, ist
mir tatsächlich nicht nach Helau oder Alaaf zumute.
 

Was macht ein Karnevalspräsident im Lockdown?
Das hört sich vielleicht merkwürdig an, wir nutzen die „Gunst der Stunde“ und richten die gerade neu angemieteten Büroräume ein, und da gibt es einiges zu tun. Alle Neuigkeiten, die vom Bund Deutscher Karneval (BDK) kommen, gehen natürlich direkt weiter an die 110
Mitgliedsvereine, und für Rückfragen stehe ich natürlich immer und gern zur Verfügung. Im Auftrag und im Namen des NRW-Landtagspräsidenten darf ich demnächst einen besonderen Verdienstorden an einen außerordentlich verdienten Karnevalisten verleihen. Das gesamte
KLN-Präsidium ist da schon mit den Vorbereitungen beschäftigt, um alles Coronakonform
ausrichten zu können. Und: Kontaktpflege ist natürlich ganz wichtig. Deshalb telefoniere ich häufig mit meinen Amtskollegen und Vereins- und Gesellschaftsvertretern.

Keine Umzüge, keine Auftritte, kein Straßenkarneval – wird der Karneval das ohne Schaden überstehen können?
Es ist leider zu befürchten, dass der ein oder andere kleine Karnevalsverein die Session nicht überleben wird. Tragisch ist dabei, dass diese Vereine oder Gesellschaften, die zumeist eine lange und erfolgreiche Geschichte haben, in einem solchen Fall so schnell nicht mehr neu
aufgestellt werden können und dann ganz von der Bildfläche verschwinden. Die Landesregierung ist mit ihrem Herumgeeiere an der Misere einiger Vereine und Gesellschaften nicht unschuldig. In Thüringen etwa hat die Polizei einen 300 Meter langen Karnevalsumzug gestoppt.
Ich möchte meinem dortigen Kollegen eine Stellungnahme überlassen. Es ist natürlich leicht, mit dem Finger auf diesen Schwachsinn zu zeigen, es gibt überall und nicht nur in Thüringen Menschen mit begrenzter Festplattenkapazität. Leider kann man aufgrund dieser Tatsache
mit diesen Gruppen nicht diskutieren, und ich beneide die Ordnungskräfte nicht, die sich um diese Minderheit kümmern müssen. Dass ich dieses unsolidarische Benehmen verurteile muss nicht besonders betont werden. Legislative und Executive sind – was diese Individuen betrifft – für mein Verständnis viel zu nachsichtig.
 

In der ein oder anderen närrischen Hochburg ist der Hoppeditz im Livestream erwacht – wie viel Digitalität verträgt der Karneval?
Auch wenn Sitzungen und Umzüge nicht zu ersetzen sind, die wirklichen Karnevalisten vertragen sicher noch mehr Digitalität. Es hilft niemandem weiter, wenn über alles und jedes gemeckert wird und wir uns selbst leid tun. Das Virus ist nun mal da, und wir müssen einfach alles versuchen, diese Pandemie in den Griff zu bekommen.
Das närrische Volk ist kreativ – es gab Drive-In-Büttensitzungen, viele Vereine haben ihren Rosenmontagszug en miniature im Netz ziehen lassen.
Das, was sich die Vereine und Gesellschaften einfallen lassen, um ein wenig Frohsinn zu verbreiten, ist bewundernswert. Es ist ein Riesenspaß zuzusehen, mit welcher Kreativität
kleine Filme, Interviews oder Trickfigurenumzüge in Umlauf gebracht
werden. Davon bin ich wirklich begeistert. Erwähnenswert sind besonders Online-Events, deren Erlöse (so muss z.B. ein YouTube-Betrachter für einmaliges Anschauen ein „Eintrittsgeld“ entrichten) notleidenden Künstlern und karikativen Einrichtungen zu Gute kommen.
 

Zu Ihrem Verbandsgebiet gehören Mönchengladbach, Krefeld, der Rhein-Kreis Neuss, der Kreis Viersen sowie die linksniederrheinischen Teile der Kreise Kleve und Wesel. Die rechtsrheinischen Narren haben einen eigenen Landesverband. Ist der Rhein eine närrische Grenze?
Tatsächlich ist der Rhein eine Grenze zwischen links- und rechtsrheinischem Karnevalsgebiet. Eine närrische Grenze ist er allerdings nicht. Eher ist es so, dass vor Urzeiten der Bund Deutscher Karneval diese Grenzen recht willkürlich gezogen hat und da kam der Rhein gerade recht. Mit meinem Kollegen vom Landesverband Rechter Niederrhein (LRN) habe ich ein sehr gutes, ja freundschaftliches Verhältnis und wir teilen eine Menge Ansichten. Ich empfinde es als Segen, dass Karneval von Ort zu Ort anders gefeiert wird. Es würde eine
langweilige Angelegenheit, wenn es überall gleich wäre.
 

Ihr Verband will u.a. die „Auswüchse bei der karnevalistischen Brauchtumspflege zu bekämpfen“. Der Karneval braucht Hilfe?
Bei Licht betrachtet sind Auswüchse die Seltenheit und werden bei noch so neutraler Berichterstattung in meinen Augen überbewertet. Wie vorab schon erwähnt, sind unsere Rechtsorgane zu schwach aufgestellt und deshalb bekommen die von Ihnen angesprochenen Auswüchse einen zu hohen Stellenwert. Im Dunstkreis des KLN ist mir bis dato über Auswüchse nichts bekannt. Generell kann mit guter Jugendarbeit entgegengewirkt werden.
Die Jugendbeauftragten der Vereine und Gesellschaften leisten eine tolle Arbeit und sorgen so
schon für eine weitreichende Prävention. Der KLN unterstützt hier mit einer eigenen Jugendbeauftragten, führt Schulungen für die Jugendleiter- Card (JuLeiCa) und Tanztrainer und -trainerinnen durch. Mein Eindruck ist, dass diese jungen Menschen kein Interesse an
Auswüchsen zeigen werden, sie haben Spaß an der Sache, auch ohne Alkohol.
 

Heute noch, morgen schon der Abgesang. Was bleibt?
In den letzten Monaten habe ich mehrfach erlebt, dass sich die Vereine und Gesellschaften untereinander geholfen haben. Von dieser Solidarität bleibt für die Zukunft bestimmt viel erhalten. Aus der Not geboren führen wir heute Videotelefonate und -konferenzen durch.
Das ist eine durchaus bleibende Neuheit. Die anfänglichen Unsicherheiten sind überwunden, und mittlerweile hat sich eine gewisse Routine eingestellt. Das bleibt also auch. Ich wünsche allen Karnevalistinnen und Karnevalisten nebst Anhang viel Gesundheit, positives Denken und negative Corona-Tests. Der Karneval wird fortbestehen, da bin ich ganz sicher.
 

Präsident Schäfer ist Ansprechpartner für 110 Vereine.


Der Karnevalsverband Linker Niederrhein e.V. ist einer von 35 Regionalverbänden im Bund Deutscher Karneval e.V. – Der Verband strebt u.a. die Zusammenfassung und Integration aller am linken Niederrhein und Umgebung ansässigen Karnevals- und Brauchtumsvereine an. Sitz ist in Mönchengladbach.
 

www.karneval-niederhein.de

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